Der Silberfisch                                                          

Blutüberströmt mit erigiertem Schwanz,
kam er auf die Welt schon mit dem silbernen Kranz
auf dem Kopf und er schrie wie 'ne Kreissäge am Spieß.
Die Hebamme wurde kreidebleich
und sie legte diesen schleimigen Klumpen Fleisch
auf den Bauch seiner Mutter, die danach trübsinnig blieb.
Sein Vater verpaßte ihm das Pseudonym,
wenn er das heute hört, dann kriegt er ihn,
diesen Panikanflug in dem Glupschaugen-Gesicht.
Halb aus Selbstmitleid und halb aus Zorn
schiebt er dann seine Unterlippe nach vorn.
Seinen Spitznamen haßt er wiklich, der Silberfisch.

In dieser Großstadtgürtel-Trabantenstadt
ging er nach der Zehnten von der Schule ab,
denn er machte diesen Bruch im Hergenröder-Haus.
Er nahm von da bloß ein paar Riesen mit,
da gehörte denen nämlich  noch die Schokoladenfabrik,
und Sacha, der Idiot, packte bei den Bullen aus.
Dem Richter sagte er, er habe Äitsch geused,
acht Wochen Arrest, las er den ganzen Proust,
danach die Nordsee-Therapie auf dem Erlebnis-Segelschiff.
Doch er lebte sich nie mehr richtig ein,
sein Therapeut nannte ihn "Du linkes Schwein!",
so daß sogar noch die Bundeswehr auf ihn pfiff.

Mit Anfang Zwanzig zog er dann in die Stadt,
wo er geklaute Elektronik vertrieben hat.
War von den Junkie-Strichern aber ziemlich bald geätzt.
Und um die Zeit, als er mit Gitti schlief,
gehörte die zum Basiszellen-Kollektiv
und das hatte den alten Wasserturm besetzt.
Er machte da bei paar Aktionen mit,
dafür liebten sie ihn, und für sein Shit,
hat in all den Jahren nicht einmal abgespült.
Im Parlament sitzen heute zwei von denen,
Gitti gab sich eine Überdosis in die Venen,
er hatte da schon mit anderen Schnitten gespielt.

Von dem Geerbeten und dem Ersparten
tickte er mit W.T.-Derrivaten
und gewann schon bald 'ne wirklich große Wette.
Davon legte er die Hälfte sicher an,
Aktien, Immobilien; eben so'n Kram,
und von dem Rest, da launchede er die Geschenkpapier-Kette.
Nach der Wende dann sein bisher einziger Flop,
doch das Zahncreme-Kombinat war echter Schrott,
er steckte das weg, er nahm das sogar mit.
Und vor'n paar Wochen in der Club-Sauna
tauschte er's gegen sein Kindheits-Trauma:
Einundfünfzig Prozent der Schokoladenfabrik.

Richtig ärgern kann ihn heut auch keiner mehr,
nicht einmal die Senatorin für Wirtschaft und Verkehr,
wenn die mal wieder irre Auflagen anmahnt.
Früher ließ die sich von ihm ans Hochbett fesseln,
er sah sie später noch einmal im Hamburger Kessel
mit dem heutigen Bürgermeister Hand in Hand.
Im Regionalprogramm, als Kunstmäzen,
sah ich ihn neben diesem Bürgermeister stehn,
hat ihn mit einer Medaille oder so bedacht.
Und er redete zu so Sekt-Trinker-Fratzen,
sagte: "Nur wer als Kind krank war, wird auch erwachsen!"
Der Silberfisch hätte sich da fast kaputtgelacht.

Und hat er heute einmal Depressions-Tendenzen
oder nur anhaltende Ich-Interferenzen,
spielt er einfach stundenlang auf dem Didjeiridu.
Nur wenn er wirklich überhaupt nicht mehr kann,
stellt er sich für paar Mal acht Stunden ans Band
der Schokoladenfabrik; dann hat er seine Ruh.
Dieses Animal-Girl aus dem Lagerhaus,
das er heut räumen ließ, die hat ihn angefaucht:
"Du fetter alter Wichser, du hast doch bloß Schiß!"
Halb aus Selbstmitleid und halb aus Zorn,
schob er da seine Unterlippe nach vorn
und machte ihn noch einmal, den Silberfisch.
- Ja, die hatte wohl in allen Punkten Recht! -